Mit der Support-Plattform des Projekts Sozialkompetenz für die Arbeitswelt – Landesnetzwerk (SKA) bietet sie auch digital Unterstützung und Rat. Die Plattform ist Anlaufstelle für Unternehmen und Fachkräfte der Berufsbildung, die ein demokratisches Miteinander auf der Agenda haben – auch und besonders bei den Azubis, die die Arbeitswelt von Morgen maßgeblich mitgestalten. Dabei geht es aber nicht nur um das Thema Rassismus bei Auszubildenden – es geht um eine Arbeitswelt, die Vielfalt selbstverständlich macht. Wir trafen Projektreferentin Leila Schilow im Interview.

1. Frau Schilow, was verbinden Sie mit dem Thema „Weltoffenes Sachsen“?

Das Wort Weltoffenheit hören und lesen wir an vielen Stellen. In erster Linie geht es um den Abbau von Vorurteilen und Rassismus gegenüber Zugewanderten oder vermeintlichen Migrant:innen. Darüber hinaus denke ich noch an Antisemitismus und weitere Diskriminierungen, z. B. von Menschen mit diversen geschlechtlichen und sexuellen Orientierungen. Ich verbinde mit dem Begriff vor allem eine Vision von einem Sachsen, in dem sich unterschiedlichste Menschen aus aller Welt wohl und willkommen fühlen und zum Leben und Arbeiten hierherkommen.

2. Warum ist die "Weltoffenheit" konkret im Arbeitsleben denn überhaupt ein Thema?

Oftmals verbringen wir mehr Zeit mit unseren Kolleg:innen, Mitarbeiter:innen und Kund:innen als mit Freunden oder Familie. Und in der globalisierten Arbeitswelt sind dies Menschen aus allen Teilen der Erde und vielfältigen Lebenswelten. Sachsen braucht dringend Zuwanderung, um seinen Fachkräftebedarf zu decken – bis 2030 fehlen laut Prognosen 230.000 Fachkräfte. Und die Menschen, die hoffentlich hierherkommen, sind wie du und ich. Sie erwarten anerkannt und ernst genommen zu werden, losgelöst von Merkmalen wie Hautfarbe oder vom sozialen Hintergrund. Wie wohl sie sich im Arbeitsleben fühlen werden, ist eine Frage der Unternehmenskultur. 

3. Sowohl in ihren Workshops als auch auf der Support-Plattform spricht die Courage - Werkstatt Diskriminierungen vor allem bei jungen Menschen an. Wie akut ist das unter einer globalisiert aufwachsenden Generation denn noch?

Jugendliche und junge Erwachsene befinden sich in einer prägenden Phase. Sie entwickeln ihre eigene Persönlichkeit und soziale Identität, zu der auch politische Einstellungen gehören. Sich von anderen abzugrenzen und damit Gruppen auszuschließen, um sich selbst aufzuwerten, kann dabei durchaus die eigene Unsicherheit kompensieren. Aber wir alle, auch die Erwachsenen, müssen uns an die eigene Nase fassen – auch wir sind nicht frei von Vorurteilen oder diskriminierendem Denken. Daher haben wir auch zahlreiche Angebote für Erwachsene. Alle sind verantwortlich, die eigenen Bilder im Kopf zu prüfen. 

4. Warum sollten Unternehmen auf Vielfalt setzen?

Dafür gibt es viele gute Gründe. Jede:r Vierte in Deutschland hat eine Zuwanderungsgeschichte. Frauen machen die Hälfte der Gesellschaft aus. Eine Realität, die sich im Arbeitskontext noch nicht widerspiegelt – schon gar nicht auf allen Ebenen. Allein diese Schieflage empfinden viele als ungerecht. Studien zeigen auch, dass Vielfalt und damit Mehrperspektivität zu mehr Kreativität, Innovation und langfristigem Erfolg von Unternehmen führt. Es lohnt sich also die verschiedenen Kompetenzen von Menschen zu nutzen. Und nicht zuletzt ist eine Kultur der Angstfreiheit und Offenheit am eigenen Arbeitsplatz dauerhaft gut für Gesundheit und Zufriedenheit der Mitarbeiter:innen – das spricht sich auch herum. 

5. Wie fangen Unternehmen da am einfachsten an? Haben Sie einen Tipp für die ersten Schritte?

Wir empfehlen meist ein offenes Gespräch mit den Mitarbeitenden zu ihrer eigenen Wahrnehmung: "Findest du, dass wir Vielfalt leben? Wo siehst du noch Potential und Handlungsbedarf"? Ein weiterer einfacher, aber ganz wichtiger Schritt ist, mit Betroffenen von Beleidigungen oder diskriminierenden Verhaltensweisen zu sprechen und ihnen Unterstützung anzubieten. Das kann dann auch strukturell verankert werden, z. B. in regelmäßigen Personalgesprächen oder anderen Feedback-Strukturen. Darüber hinaus gibt es noch viele weitere Bausteine eines Diversity-Managements. Das A und O ist aber: Hinschauen. Damit umgehen. Konsequent sein. 

6. Wie unterstützen Sie als Netzwerk die Unternehmen genau?

Wir haben im Projekt „Sozialkompetenz für die Arbeitswelt“ verschiedene Bildungsangebote für alle Beteiligten der Berufsbildung. Das können individuelle Workshops und Fortbildungen sein, moderierte Erfahrungsaustausche, Vorträge aber auch Beratung. In unserem zweiten Projekt in Kooperation mit Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen "Open Saxony!" haben wir zudem zahlreiche Bildungsangebote für Führungskräfte und Mitarbeiter:innen, um eine wertschätzende Unternehmenskultur in sächsischen Betrieben zu unterstützen. Unsere Themenpalette reicht von Vielfalt über diskriminierungsfreie Sprache, von Rassismus bis hin zu Gefahren von Verschwörungsideologien für Unternehmen. Essentiell ist uns in allen Bildungsangeboten, Menschen in ihrer Handlungssicherheit im eigenen Ausbildungs- und Arbeitskontext zu unterstützen.

7. Fallen dafür Kosten für die Unternehmen an? Wie hoch ist der Aufwand?

Nein. Unsere Angebote sind kostenfrei. Wir werden gefördert über die Fachkräfterichtlinie im Sächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr (SMWA) und über das Landesprogramm "Weltoffenes Sachsen".

8. Mit welchem Format/Methode arbeiten Sie am liebsten, wenn Sie zu Unternehmen gehen?

Wir arbeiten entsprechend unserer Qualitätskriterien in überschaubaren Gruppengrößen, so dass Jede:r mit seinen eigenen Gedanken und Erfahrungen auch ins Gespräch kommen kann: Der Austausch ist das Kostbarste. Wenn nach einem Input der eigene Arbeitsalltag reflektiert wird und Aha-Effekte entstehen, dann gibt das einen richtigen Motivationsschub, der im Raum spürbar ist.

Leila Schilow im Gespräch

9. Was motiviert Sie bei Ihrer Arbeit besonders?

Wenn unsere Teilnehmer:innen nach Workshops sagen, dass sie sich jetzt handlungssicherer fühlen und zukünftig aufstehen werden, wenn sie diskriminierende Situationen erleben, wenn die Teilnehmer:innen für den Erfahrungsaustausch dankbar sind, wenn sich Unternehmen in den Prozess begeben und Leitlinien überarbeiten, Betriebsvereinbarungen schließen oder, wie z. B. NOMOS Glashütte, sich klar positionieren in offenen Briefen nach Wahlen –  kurzum: Wenn wir merken, dass unsere Arbeit etwas bewegt!

10. Zum Schluss darf geträumt werden: Wie sieht das weltoffene sächsische Unternehmen in der (nahen) Zukunft für Sie aus?

Eine Kollegin erzählte mit kürzlich von einem Gespräch mit einem Iraner, der mit seiner Frau seit vielen Jahren in Deutschland lebt. In dieser Zeit ist er zweimal rassistisch beleidigt worden, beide Male war es in Sachsen. Für ihn ist es deshalb kein guter Ort. Ein Weltoffenes Sachsen muss ein Sachsen sein, in dem Rassismus, Antisemitismus und Diskriminierung keine Chance mehr haben. Verschiedenste Menschen kommen hierher oder bleiben gerne in Sachsen zum Leben und Arbeiten und fühlen sich sicher hier. Mitarbeiter:innen im Unternehmen werden gerade in ihrer Diversität und mit ihren Kompetenzen wertgeschätzt und angenommen. Dabei gibt es ein klares Bekenntnis gegen menschenverachtende Einstellungen, das auch im Arbeitsalltag gelebt wird. Wir müssen gemeinsam aktiv werden, denn im Arbeitsleben wird unsere Gesellschaft und unser tägliches Miteinander maßgeblich gestaltet. 

Vielen Dank, Frau Schilow. 

Wirtschaft für ein Weltoffenes Sachsen

Der Verein „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“ setzt sich dafür ein, dass Weltoffenheit und Internationalität im Freistaat Sachsen aufgebaut werden. Die Vision des Vereins ist ein wirtschaftlich starkes, weltoffenes und internationales Sachsen. Um das zu erreichen werden Politik, Wirtschaft und Experten vernetzt, Bildungsangebote, Vorträge und Workshops im Freistaat angeboten. 

Bildnachweis: Martin Klindtworth, www.zentralfotograf.de